Die Platte erscheint auf Pifia Records und Subzine Records.
Prolog
Es gibt so Tage ob dieses arschverdammten Daseins (Zit.) da draußen, da stellt sich Pistolero hin und wieder die Frage, was denn noch so alles passieren muss, damit sein Glaube an die „schönen, alten Hardcore Punk-Jahre“ endlich wieder zurückkehren wird? Und dann gibt es Tage, da liegt an einem nassen, tristen Wintertag so ganz ohne Vorankündigung die Sick Times/Bug Attack Split 12“ in seinem Briefkasten und eine leise Stimme flüstert ihm verheißungsvoll flirtend in sein vom Tinnitus zerstörtes Ohr: „Drauf das Ding auf den Teller, Arm sinken lassen und gönn‘ Dir mal nach langer Zeit wieder ne‘ richtige Ladung Geballer!“ Um es vorwegzunehmen: die Stimme aus dem Off sollte recht behalten – aber sowas von!
Kapitel 1 – Bug Attack
Ich drehe die Scheibe zunächst auf die B-Seite, weil ich als Käfer-Sympathisant ordentlich attackiert werden will. Und das werde ich – schon mit der ersten Rillenumdrehung! Das ist ranzig, roh, rotzig, trashig und auch irgendwie melodisch, was mir die Ein-Mann-Kombo Bug Attack aus Norddeutschland hier entgegenschleudert. Gitarre, Schlagzeug und Gesang, zusammengefügt in 8 Songs, die jeweils in weniger als 2 Minuten genau das wieder aufleben lassen, was ich schon lange an deutschem Punk vermisse: Weg von dem Allerwelts-Einheitsbrei, hin zum ehrlichen, authentischen und experimentierfreudigen Garagen-Trash-Punk der 80er-, 90er Jahre. Auch textlich bin ich sehr schnell überzeugt: „Köter“, „Steine, Nägel, Scherben“ – Bug Attack schreibt „Geschichten“ von einer Welt, in der vieles schiefläuft, ohne sich dabei an stereotypen Parolen zu verzetteln. Die Scheibe ist schnell zu Ende gehört. Schade! Mehr davon! Meinen Geschmack trifft Olli aka Bug Attack jedenfalls sehr…
Kapitel 2 – Sick Times
Das Geknister aus den Boxen weicht nach nur wenigen Sekunden einer Druckwelle, die meinen erwartungsfrohen Gemütszustand komplett aus den letzten Fesseln sprengt. Hardcore Punkrock in seiner reinsten Form dröhnt mir entgegen. Cleane Gitarrenriffs, druckvolle Drums, ein Basslauf, der mich spüren lässt, das meine Organe noch an der richtigen Stelle sitzen und ein Gesang, der sich wie eine Mischung aus alten Hardcore-Helden der späten 80er bis hin in die 2000er anhört: Spontan fallen mir da Blood for Blood und ein bisschen auch Slapshot ein. Wow! Endlich mal wieder eine richtig geile Band aus den USA…so könnte man meinen, aber falsch gedacht! Sick Times kommen nämlich gar nicht aus den hintersten Ecken Bostons, New Yorks oder Conneticuts, sondern aus Sachsen! Und dieser Fakt, liebe Freund*innen der gepflegten Geballerkultur, ist nur das I-Tüpfelchen der Performance, sympathische Band (1 Frau, 3 Männer) aus Roßwein mit ihren 11 Songs (plus Kill your Idols- Cover „Falling“) auf dieser Split abliefern. Fast forward tracks, die sich wie der Bohrer beim Zahnarzt anfühlen, bevor die Midtempo-Kracher zwischenzeitlich immer mal wieder den Nerv treffen. So soll Hardcore klingen! Es geht straight nach vorne, es ist punkig, es reißt mich mit und ich will sofort live dabei sein. Ich sehe mich in einem Pit inmitten eines selbstverwalteten Jugendzentrums irgendo im Niemandsland, die Faust in die Höhe getreckt, mit gröhlend, feiernd und vor Freude taumelnd. Textlich sprechen mich vor allem „Two Words, one Finger“, „No Hope for tomorrow“, „This Shit‘s gotta stop“ und vor allem das grandiose „Not my Punk“ an. Letzterer spricht mich besonders an, weil ich schon seit geraumer Zeit einen Wandel im Hardcore Punk feststelle, der sich so gar nicht mit dem deckt, wie meine Weggefährt*innen und ich die Szene über Jahrzehnte erlebt und vor allem gelebt haben. Das aber nur am Rande, denn hier geht‘s ja schließlich um die Mucke. Und Sick Times machen Hardcore, wie er mich zuletzt vor langer, langer Zeit in dieser Art begeistern konnte. Für mich sind Sick Times mit dieser Veröffentlichung nicht mehr nur ein Geheimtipp, sondern ich behaupte mal ganz forsch, dass sich in naher Zukunft viele, viele Bands aus diesem Genre am sächsischen Hardcore-Geschoss orientieren müssen. Hardcore Punk wird hier nicht neu erfunden, aber das muss auch nicht so sein, wenn er sich mit einer solchen Wucht von der Masse abhebt! Großartig…
Epilog
Wenn vier Deadhead-Polizisten den drohenden Angriff eines Bugs mit einer Bier-Spritze abwehren wollen, dann ist das zunächst einmal ein humoristisches wie gleichermaßen extravagantes Portrait des musikalischen Zusammenschlusses von Sick Times und Bug Attack auf dieser 12“. Wirkt ein wenig wie ein Filmcover eines Science Fiction-Klassikers. Gelungen! Auch das Vinyl dieser auf 300 Exemplare limitierten Platte hat es in sich: 18o Gramm schwer, grünlich-gelb mit schwarzen Verwirbelungen machen das Hörerlebnis auch zu einem optischen Augenschmaus. Sticker und Download-Code sind auch enthalten. Das Booklet zeigt die Protagonisten in Aktion. Was will ich mehr?
Schaut doch mal bei den beiden Bands vorbei! Ich jedenfalls halte in diesem Jahr die Augen nach diesen Beiden offen und freue mich auf Live-Action mit jeder Menge Bier, gerne auch aus Spritzen… Pistolero